Autoren: Dr. Werner Schupp, Dr. Wolfgang Boisserée, Dr. Maria Tabancis,Dr. Julia Steinmaier (geb. Funke)
Initialtherapie der Okklusion
Einleitung
Die erste Behandlungsmaßnahme bei einer craniomandibulären Dysfunktion (CMD) ist in den meisten Fällen eine Aufbissschiene. Diese dient als reversible therapeutische Methode, um eine Verbesserung der Symptome zu erreichen. Eine definitive kieferorthopädische Behandlung kann erst dann erfolgen, wenn durch die Schiene eine funktionelle Besserung eingetreten ist. Zusätzlich zur therapeutischen Anwendung kann eine Okklusionsschiene auch als diagnostisches Werkzeug genutzt werden, um die physiologische, dreidimensionale Position des Unterkiefers zu bestimmen.
Wirksamkeit von Okklusionsschienen
Okklusionsschienen sind wissenschaftlich belegte Therapieinstrumente, die nicht nur das craniomandibuläre System, sondern auch das gesamte muskuloskelettale System positiv beeinflussen. Sie korrigieren okklusale Störungen und normalisieren neuromuskuläre Dysfunktionen. Gleichzeitig ermöglichen sie eine reversible Neudefinition der Kiefergelenksposition. Wichtig ist, dass die Schiene aus hartem Material gefertigt wird, da weiche Schienen nur vorübergehend zur Muskelentspannung und zur Entkopplung der Okklusion genutzt werden können.
Voraussetzungen für eine Schienentherapie
Die Indikation zur Schienentherapie erfolgt nach einer umfassenden Diagnostik des craniomandibulären Systems und, falls erforderlich, radiologischer Untersuchung. Während der funktionellen Therapie muss gewährleistet sein, dass es in der habituellen Interkuspidation keine unerwünschten Kontakte gibt, um eine ungewollte Anpassung des neuromuskulären Systems zu vermeiden. Die Schiene sollte kontinuierlich getragen und regelmäßig nach manueller Therapie oder Physiotherapie angepasst werden.
COPA-Schienen (Craniomandibuläre Orthopädische Positionierungsapparaturen)
Diese speziell gefertigten Schienen unterstützen die orthopädische Neupositionierung des Unterkiefers. Sie werden bevorzugt für den Unterkiefer angefertigt, da dies sowohl den Tragekomfort als auch die Möglichkeit zur okklusalen Kontrolle erleichtert. Die Schienen bieten eine stabile Stützung im Seitenzahnbereich, während die Schneidezähne in der Regel nicht bedeckt werden, um eine freie Einstellung der Kieferposition zu ermöglichen.
Verschiedene Arten der Schienentherapie
• Herausnehmbare Schienen: Diese stellen die häufigste Form der Okklusionstherapie dar, da sie eine reversible Behandlungsoption bieten. Sie sind besonders geeignet für die initiale Therapie, da sie eine schrittweise Anpassung der Bisslage ermöglichen.
• Nicht herausnehmbare Schienen: Diese werden erst nach erfolgreicher erster Behandlungsphase eingesetzt, um die neue zentrische Position des Unterkiefers zu stabilisieren. Besonders bei einem einseitig fehlenden vertikalen Seitenzahnhalt können sie eine wichtige Stützung bieten.
• Direkt gefertigte COPA-Onlays: Diese Onlays werden für Patienten mit akuten Kiefergelenkspathologien oder in Kombination mit einer Aligner-Therapie eingesetzt. Sie können auch in der frühen Phase des Zahnwechsels verwendet werden.
Praktisches Vorgehen
Die Bissregistrierung erfolgt in einer therapeutischen Kieferrelation und bildet die Grundlage für die Modellanalyse. Die diagnostischen Modelle werden exakt dupliziert, um eine unveränderte Ausgangssituation zu dokumentieren. Falls notwendig, wird eine weiterführende kieferorthopädische oder prothetische Therapie im Vorfeld geplant.
Kontraindikationen und Einschränkungen der Schienentherapie
• Tiefbiss mit retroklinierten oberen Schneidezähnen: Hier wäre eine isolierte Schienentherapie unzureichend, da sie zu einer weiteren Rotation des Unterkiefers führen könnte.
• Transversale Diskrepanzen mit Kreuzbiss: In solchen Fällen ist eine kombinierte funktionelle Kiefergelenkstherapie und kieferorthopädische Behandlung erforderlich.
• Primäre Gelenkerkrankungen: Hier kann eine Schienentherapie die Symptome verschlimmern, sodass eine präzise Diagnostik mittels DVT oder MRT notwendig ist.
Herstellung der COPA-Schiene im Labor
Die Schienenfertigung erfolgt auf Modellen, die im Artikulator montiert sind. Die Schiene sollte möglichst flach designt werden, um einen hohen Tragekomfort zu gewährleisten. Nach der Fertigstellung wird die Okklusion mithilfe von Okklusionsfolie überprüft und angepasst.
Einsetzen und Kontrolle der Schiene
Nach dem Einsetzen wird überprüft, ob die Schiene stabil sitzt und keine unerwünschten Bewegungen zulässt. Erste Kontrollen erfolgen nach einer Woche, um sowohl die statische als auch die dynamische Okklusion zu bewerten. Anpassungen erfolgen durch gezieltes Einschleifen der Schiene oder Remontage im Artikulator.
Fazit
Okklusionsschienen sind ein effektives Mittel zur reversiblen Behandlung von CMD. Sie ermöglichen die Ermittlung einer physiologischen Kiefergelenksposition und dienen als Basis für weiterführende kieferorthopädische Maßnahmen. Eine erfolgreiche Schienentherapie dauert in der Regel 3 bis 6 Monate. Erst wenn eine stabile Bisslage erreicht ist, kann eine weiterführende Aligner-Therapie oder prothetische Behandlung beginnen.
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Quelle:
Schupp, W., Boisserée, W., Tabancis, M., & Funke, J. (2019). Initial therapy of occlusion. Journal of Aligner Orthodontics, 3(1), 31–41.