Autoren: Dr. Julia Steinmaier (geb. Funke), Dr. Werner Schupp, Dr. Julia Haubrich, Dr. Britta A. Jung
Einleitung: Die Herausforderung verlagerter Eckzähne
Verlagerte Eckzähne sind eine häufige kieferorthopädische Problematik mit einer Prävalenz von 1–3 % in der westlichen Bevölkerung. Besonders betroffen sind Mädchen, wobei der obere Eckzahn zehnmal häufiger verlagert ist als der untere. Die häufigste Lage ist die palatinale Verlagerung (50 %), gefolgt von der bukkalen (30 %) und der Position im Alveolarkamm (20 %). Erfolgt der Durchbruch nicht von selbst, entsteht eine komplexe Therapieaufgabe, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopäden und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen erfordert.
Diagnose und Risiken einer nicht behandelten Eckzahnverlagerung
Ein verlagerter Eckzahn kann klinisch durch Platzmangel, Mittellinienabweichung oder Kippung benachbarter Zähne auffallen. Radiologisch ist ein vergrößerter Winkel zwischen der Eckzahnachse und der Spina nasalis anterior ein Hinweis auf eine Verlagerung. Bleibt eine Behandlung aus, können ektopische Durchbrüche, Wurzelresorptionen an Nachbarzähnen oder das Verbleiben des Eckzahns im Kiefer auftreten.
Therapeutische Möglichkeiten
Falls frühzeitig erkannt, kann eine Milchzahnextraktion oder eine Lückenöffnung den Durchbruch begünstigen. In vielen Fällen ist jedoch ein aktives kieferorthopädisches Eingreifen notwendig. Die Alignertherapie in Kombination mit zusätzlichen Hilfsmitteln (Auxiliaries) stellt eine moderne Behandlungsoption dar.
Fallbericht: Behandlung eines palatinal verlagerten Eckzahns mit Alignern
Eine 13-jährige Patientin stellte sich mit einem retinierten und palatinal verlagerten oberen linken Eckzahn (Zahn 23) in der kieferorthopädischen Fachpraxis vor. Ihr Milchzahn 63 war noch in situ, und es lag eine Klasse-II/2-Verzahnung mit tiefem Biss vor. Die Diagnose wurde durch klinische und radiologische Untersuchungen bestätigt.
Behandlungsplan
1. Vorbereitende Maßnahmen: Entfernung des persistierenden Milchzahns 63 zur Öffnung des Durchbruchspfads.
2. Platzschaffung durch Distalisierung: Die oberen Seitenzähne wurden mit dem Invisalign-System nach distal bewegt, unterstützt durch Klasse-II-Gummizüge. Attachments und Hooks wurden zur Optimierung der Zahnbewegung angebracht.
3. Chirurgische Freilegung des Eckzahns: Da keine spontane Einstellung erfolgte, wurde der Zahn operativ exponiert und eine Zugkette befestigt.
4. Extrusion mit mechanischer Unterstützung: Mithilfe eines direkt gebondeten Teilbogens wurde der Eckzahn stufenweise in den Zahnbogen geführt.
5. Refinement-Phase: Nach vollständiger Extrusion wurde der Behandlungsplan in der ClinCheck-Software überarbeitet und weitere 38 Aligner zur Feineinstellung eingesetzt.
6. Retention: Nach erfolgreicher Korrektur wurde zur Langzeitstabilisierung eine herausnehmbare Retentionsschiene für den Oberkiefer und ein festsitzender Retainer für den Unterkiefer verwendet.
Diskussion und Fazit
Die Alignertherapie hat sich in den letzten 20 Jahren als etablierte kieferorthopädische Methode durchgesetzt, auch für komplexe Zahnbewegungen wie die Einstellung verlagerter Eckzähne. Dabei ist es unerlässlich, Alignertechniken mit zusätzlichen Verankerungselementen wie Teilbögen oder skelettalen Verankerungen zu kombinieren. Bei sorgfältiger Planung und hoher Patienten-Compliance können exzellente Behandlungsergebnisse erzielt werden.
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Quelle:
Funke, J., Schupp, W., Haubrich, J., & Jung, B. A. (2020). Einstellung eines palatinal verlagerten Eckzahns mittels Alignertherapie – ein Fallbericht [Insertion of a palatally displaced canine using aligner therapy – A case report]. Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie, 52(4), 259–265. https://doi.org/10.1055/a-1242-0044