Schmerz und Kieferorthopädie: Eine interdisziplinäre Betrachtung kybernetischer Zusammenhänge
Autor: Schupp, Werner
Zusammenfassung Dysfunktionen der Kiefergelenke können im Kiefergelenk selbst, in benachbarten Strukturen wie der oberen Halswirbelsäule aber auch in weit entfernt liegenden Regionen wie dem Becken Schmerzen auslösen und unterhalten. Findet der Schmerztherapeut bei der Untersuchung Dysfunktionen und/oder Schmerzen der Kiefergelenke, so sollte er daran denken, dass durch das Kiefergelenk als möglichem primären Läsionsgelenk Schmerzen in anderen Körperregionen ausgelöst und unterhalten werden können.
Häufig sind die Symptome bei chronischen Kiefergelenksdysfunktionen nicht oder nur schwer zu erkennen und nicht ausschließlich am Kiefergelenk selbst zu diagnostizieren, sodass der Untersucher neben der Kiefergelenksuntersuchung weitere Screeningverfahren benötigt, um kybernetische Zusammenhänge herauszuarbeiten. Hier bieten sich vor allem Untersuchungen aus der manuellen Medizin und die „Applied Kinesiology“ (AK) nach Goodheart an [1, 2, 3, 4, 7, 8, 9, 10, 13, 16].
Plato u. Kopp [10] fanden in einer Untersuchung, dass alle chronischen Schmerzpatienten (=100%) mit den Diagnosen „atypischer Gesichtsschmerz“ und „chronischer Kopfschmerz“ Dysfunktionen im Bereich der Okklusion (Zusammenbiss der Zähne) und der Kiefergelenke aufwiesen. Dieses galt ebenso für Schmerzen im Bereich des Beckenbodens. 85% der chronisch kranken Patienten mit Schmerzen im Bereich des Nackens wiesen Dysfunktionen im kraniomandibulären System (CMS) auf. 50% der Patienten mit tiefen Kreuzschmerz litten an einer kraniomandibulären Dysfunktion (CMD).
Epidemiologische Studien zeigen, dass 75-90% der Kinder bereits Kopfschmerzen haben. Bei 10% der Kinder kann eine Migräne diagnostiziert werden. Die Ursachen sind vielfältig, aber häufig auch mit Okklusionsstörungen und kraniomandibulären Dysfunktionen verbunden, die sich bei Kindern wie Erwachsenen in gleicher Art und Weise diagnostizieren und therapieren lassen. Hier sind wir als Fachzahnärzte für Kieferorthopädie, die wir durchschnittlich mehr Kinder als Erwachsene behandeln, besonders gefordert [3,13].
Der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) als Ansprechpartner bemüht sich in letzter Zeit besonders um Möglichkeiten der interdisziplinären und integrativen Zusammenarbeit mit Manualmedizinern, Kinderärzten und Krankengymnasten.
erschienen in Manuelle Medizin, Abstract Volume 38 Issue 6 (2000) pp 322-328